Andrea vom Blog Runzelfüsschen hat zu dem Thema der eigenen Kindergartenzeit zu einer Blogparade aufgerufen und hier auch direkt über ihre eigenen Erfahrungen geschrieben. Vieles dabei erinnert mich tatsächlich an meine eigene Kindergartenzeit. Ich bin von 1989-1994 in einen Kindergarten in Mecklenburg-Vorpommern gegangen, also gerade zur Zeit der Wiedervereinigung. Mein Kindergarten war fußläufig zu erreichen, bei uns direkt im Dorf. Die Kita gibt es genau so auch heute noch, sehr viel wurde erneuert, nicht nur die Räume, sondern auch das Konzept. Davon durfte ich mich auch überzeugen, als ich während meines Studium in den Semesterferien dort immer als Ferienvertretung gearbeitet habe. Mittlerweile ist dieser Kindergarten nämlich nicht mehr staatlich, sondern wird privat geführt, es arbeiten dort tatsächlich nur zwei Erzieherinnen in Vollzeit. Da kam ich natürlich gerade Recht und konnte so neben dem Studium und meinen dort stattfindenden Praktika noch wertvolle Erfahrungen sammeln. Aber das ist ein anderes Thema.
Ich habe nicht viele, dafür aber sehr prägende Erinnerungen an meine Kindergartenzeit. Mit einem Jahr hat mich oft mein Opa, nur selten mein Vater in die Krippe gebracht. Das lag daran, dass wir damals noch ein Dorf weiter bei meinen Großeltern im Haus gelebt haben, meine Eltern durften zwar ein Haus erwerben, dafür musste mein Vater allerdings neben seinem Hauptjob auch noch in der zuständigen LPG arbeiten und auch an Baumittel war nicht immer leicht ranzukommen. Wenn er nicht gearbeitet hat, war er im Haus und hat dort renoviert. Heute sagt er selbst, dass er von mir nichts hatte, in der Woche hat er mich meistens nicht gesehen und wenn er mich mal aus dem Kindergarten abholen wollte, hatte das meist schon mein Opa gemacht, kurzfristige Absprachen über Handy waren ja damals noch nicht möglich. Mein Opa war damals mein persönlicher Held. Er arbeitete als Metzger in der direkten Nähe des Kindergartens und hat mich oft nachmittags abgeholt und ist mit mir weggefahren, oft ohne jemanden Bescheid zu sagen. Viele Male hat er mich auch einfach mit in sein Geschäft genommen und ich saß auf der Theke mit baumelnden Beinen und bekam einen Lutscher, die er dort immer für Kinder hatte. Die Lutscher waren rot, gelb und grün, sie sahen aus wie Papageien.
Ich hatte es nicht leicht in der Krippe und auch im Kindergarten. Als Einzelkind war ich so viele Kinder nicht gewohnt. Außerdem waren die Gruppen sehr voll, da es geburtenstarke Jahrgänge waren. In der Krippe ging alles irgendwie noch, im Kindergarten wurde es schwierig. Zwar war die DDR Geschichte und wir wieder ein vereintes Deutschland, aber die Erziehungsmethoden der Erzieherinnen (ja, damals waren da nur Frauen) hatten sich noch nicht geändert. Ich kann mich daran erinnern, dass wir aufessen müssten, egal was es gab. Bis heute mag ich keinen Milchreis oder Grießbrei als Hauptgericht, es war zu viel, zu süß und ich konnte es nur unter Tränen runter bringen. Ich weiß noch, wie neben mir ein Kind sein Essen erbrochen hat und dann den Tisch abwischen musste.
Ich war ein sehr schwieriges Kind, so wie es heute meine Tochter ist. Zuhause musste ich sehr oft Rücksicht auf meine kranke Mutter nehmen, musste ruhig sein und mich alleine beschäftigen. Wenn es meiner Mutter besser ging, war ich laut, ungestüm und herrisch, es war für sie nicht einfach. Durch diese ständigen Wechsel in mir, war ich auch in der Kita schwierig. Ich konnte mich nur schlecht in Gruppen einpassen und habe deswegen viel allein gespielt. Gab es damals Freundschaften? Ich weiß es nicht mehr. Meine Eltern sagen, dass ich mich mehr mit jüngeren Kindern umgeben habe, da ich in meiner eigentlichen Gruppe die Jüngste war. Ich war schon immer sehr unsportlich, auch im Basteln eher schwach und konnte keine Talente vorweisen, die damals wichtig waren.
Schlimm war der Mittagsschlaf. Ich konnte einfach nicht schlafen. Aber das mussten wir damals. So lag ich da und versuchte immer, mich irgendwie durch zu schummeln, denn die Erzieherinnen gingen auch durch die Reihen und sahen nach. Wir lagen alle in diesem großen Saal, es war stickig und mir sehr unangenehm. Ich hoffte immer, dass wir ein Hörbuch hörten oder einen Film sahen, das ging länger als die Geschichte der Erzieherin und ich war länger beschäftigt. Jeden Tag zwei Stunden ging das so. Meist wurde ich erwischt, als ich doch mal die Augen auf hatte oder mich streckte. Dann musste ich in den Gruppenraum in die Kuschelecke und weiter so tun, als ob ich schlafe. Dort saßen dann die Erzieherinnen und machten ihre Mittagspause, immer mit Kaffee, manchmal mit Kuchen und unterhielten sich. Auch über mich und wie anstrengend ich bin, während ich da lag und so tat, als ob ich schlief.
Selbstverständlich war nicht alles schlecht. Den Kindertag am ersten Juni habe ich in der Kita geliebt. Alle haben sich schick gemacht und einen Wanderstab gebastelt, mit Krepppapier und Luftballons. Das wird auch in der Kita meiner Kinder noch so gemacht. Außerdem gab es Kuchen und Saft, anstelle des immer gleichen Tees. Was beneide ich meine Kinder, dass sie heute in der Kita Wasser trinken dürfen, bei uns gab es wirklich nur Tee. Auch Fasching war immer ein tolles Ereignis. Ostern und die Zeit davor habe ich sehr gemocht, Weihnachten überhaupt nicht, denn der Weihnachtsmann in der Kita hat immer diese unheimliche Maske auf. Eigentlich war ich auch gerne draußen, wir sind viel spazieren gegangen, immer brav in Zweierreihen, durften dann aber im Wald und auf der Wiese herumtollen. Und im Sommer gab es ein großes Planschbecken auf dem Hof des Kindergartens und alle durften dort nackig reinspringen. Wasser war schon immer mein Element und niemand wäre damals auf die Idee gekommen, uns Badesachen anzuziehen.
Aber es gibt eine Sache, die alle schönen Erinnerungen überschattet und die immer dafür sorgen wird, dass ich nicht gerne an meine Kindergartenzeit zurück denke. Eines Tages ging ich in den Kindergarten und wurde dort begrüßt von einem Mädchen, das um mich herum sprang und sang: „Haha, dein Opa ist tot, haha, dein Opa ist tot.“ Und irgendwann sangen das alle Kinder. Ich weiß bis heute noch, wie ich da stand und nicht wusste wohin mit mir, diese Hilflosigkeit, diese Angst. Und keiner griff ein. Irgendwann kam eine Erzieherin und brachte die anderen Kinder weg. Ich saß dann den ganzen Tag in der Kuschelecke und sprach mit niemanden, bis mein Papa mich abholte. Ja, in der Nacht war mein heißgeliebter Opa gestorben. Meine Familie musste selbst erst damit klar kommen und konnte nicht damit rechnen, dass es überhaupt schon jemand wusste, geschweige denn ein Kind. Aber so war es, wie auch immer das passiert ist. Als mein Vater erfuhr, was im Kindergarten passiert war, wurde er wütend und stellte die Erzieherinnen zur Rede. Wir hatten damals schon Telefon, hätte jemand gewusst, wie es mir ging, hätte mich auch sofort jemand abgeholt, aber sie haben einfach nicht Bescheid gegeben, sondern mich da alleine, weinend und fassungslos sitzen lassen. Ich soll mich doch nicht so anstellen. Danach hatte ich es schwer in der Kita, die anderen Kinder mieden die Heulsuse, die Erzieherinnen unternahmen nichts. Ich war alleine. Zum Glück hatten wir eine großartige Nachbarin, die viel Zeit mit mir verbrachte und die vor allem eine große Bibliothek hatte. Dort waren wir und sie las mir vor, bis ich nachfragte und sie mir das Lesen beibrachte. Ich konnte mit fünf Jahren lesen und zog mich in diese Welt zurück. Zum sechsen Geburtstag bekam ich von ihr das Buch „Nesthäckchen“ das ich bis heute wie einen Schatz hüte. Lesen half mir, mich zurecht zu finden, da ich nun einen Rückzugsort hatte.
Heute ist der Kindergarten keine Massenabfertigung mehr. Es geht nicht mehr darum, die Kinder irgendwie zu beschäftigen, damit sie keinen Unsinn anstellen, sondern um Forderung, Förderung, Verständnis, Anerkennung, Akzeptanz und so vieles mehr. Damals hatte eine Erzieherin locker 20 oder mehr Kinder, für die sie verantwortlich war und alles war ein Einheitsbrei ohne individuelle Förderung und für Kinder, die einfach anders waren, war da kein Platz. Zum Glück ist das heute anders.
Ich glaube, ich habe das erste Mal seit langer Zeit mich bewusst mit diesen Gedanken beschäftigt und sie zugelassen. Wer mich heute kennenlernt, als offenen, selbstbewussten Menschen, kann sich wahrscheinlich nicht vorstellen, dass ich einst das zurückgezogene, in sich gekehrte Kindergartenkind (so aber auch nur im Kindergarten) war. Eigentlich kann ich das selbst nicht mehr. Aber die Erinnerungen zeigen mir, wie wichtig Erzieher sind, welche große Rolle sie im Leben von Menschen spielen. Und wie wichtig es ist, dass sie nicht nur viele Eigenschaften, unter anderem Empathie mitbringen, sondern auch eine fundierte Ausbildung bekommen.
Was für eine schlimme Erinnerung! Und weißt du, was mich besonders ärgert: Diese Stigmatisierung als schwieriges Kind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so war. Denn eigentlich sind wir dann vermutlich alle schwierige Kinder gewesen. Einfach, weil wir Kinder waren. Aber wenn man das zu oft hört, dann glaubt man das irgendwasn. Und das ist das fatale.
Dass die Erzieherinnen nichts unternommen haben, als die anderen Kinder so gemein waren und du geweint hast (total verständlich!) macht mich fassungslos. Wussten sie denn, dass dein Opa in der Nacht verstorben war?
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Hallo, leider ist dein Kommentar hier im Spam Ordner gelandet, aber ich hab ihn noch gefunden.
Ich denke, dass die Erzieherinnen das schon wussten, mein Vater weiß nicht mehr, ob er das morgens gesagt hat, aber sie haben es ja von dem anderen Mädchen gehört. Ich kann deren Reaktion auch nicht verstehen, Kinder können den Tod und die damit verbundenen Gefühle ja in dem Alter auch noch gar nicht richtig begreifen und zuordnen, aber wieso sie da nicht eingegriffen haben, verstehe ich auch nicht. Vielleicht weil ich ja sowieso „schwierig“ war.
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